Ein kleines Licht in der Dunkelheit – Teil 7

Noch eine ganze Weile stand Kassiopeia am Fluss in Tolbas und sah Eilinora nach. Zwar hatte Eilinora gesagt, dass Kassiopeia kein schlechtes Gewissen haben sollte, doch das hatte sie – immer noch. Eilinora war zu gutmütig, um ihr etwas vorzuwerfen, das wusste Kassiopeia. Aber ihr wurde es klar, als sie wenig zuvor ihre Freundin getroffen hatte.


Sie hatte sie die letzte Zeit vernachlässigt – da gab es keinen Weg drum herum. Und war es auch deswegen, dass Eilinora sie immer wieder so merkwürdig ansah? Am Anfang des Gesprächs, während dem Gespräch und als sie sich verabschiedete? Aber es wirkte nicht so, dass sie es ihr vorwarf. Was war dann aber in ihrem Blick? Und hatte Kassiopeia nicht hier und dort entdeckt, dass Eilinoras Augen kurz feuchter wurden?

Das Gespräch, das sie hier am Fluss geführt hatten, war befreiend für Kassiopeia gewesen. Vieles, was ihr durch den Kopf gegangen war, konnte sie in Worte fassen – endlich. Sorgen, die sie Ildan nicht aufbürden wollte, aus Angst, etwas kaputt zu machen. Und wie so häufig konnte ihr Eilinora helfen mit ihrer ruhigen, weisen Art, die aus Jahrhunderten der Erfahrung genährt wurde. Es war gut, sie an ihrer Seite zu haben.

Was würde sie nur ohne Eilinora tun? Ohne Eilinora wäre sie damals wohl nie wieder nach Sanctum zurück, als Kassiopeia ihre ersten stolpernden Schritte in der Perle Elyseas probierte. Nein, sie wäre vermutlich verschüchtert und verängstigt zurückgekehrt, hätte versucht, ihre Flügel zu verleugnen, wenn Eilinora ihr nicht damals Mut gemacht hätte.

Kassiopeia lächelte leicht. Damals fühlte sie sich hier glücklich, auch wenn sie hoch hinaus wollte immer. Mittlerweile hatte Aion ihr Flügel geschenkt, aber nicht nur das – Aion hatte ihr so viel mehr mittlerweile geschenkt, auch wenn Kassiopeia sich bewusst war, dass mit jedem Geschenk auch die Pflichten größer wurden, doch sie war bereit dafür. Sie hatte gute Menschen gefunden, gute Daeva. Der Weg, den ihr Vater ihr voraus gegangen war, hatte sie in die richtige Richtung geführt. Zu gerne hätte sie ihrem Vater Ildan vorgestellt oder Eilinora. Doch das war nun einmal nicht möglich.

Sie war sich sicher, dass dies Daevas von der Art waren, von denen er damals aus Sanctum erzählte. Das waren jene Daevas aus den Geschichten, die der Daeva Perikles seiner kleinen Tochter erzählte, wenn er einmal wieder nach Monaten zu Besuch vorbei kam und die grünen Augen Kassiopeias leuchtend auf ihrem Vater hingen und alles aufsaugten, was er erzählte.

Was waren das doch für andere Zeiten damals. Damals… was war das nur für eine merkwürdige Zeit. Damals… sie konnte sich kaum noch daran erinnern. Damals war sie… selbstbewusster auf eine merkwürdige Weise. Damals… unschuldiger, noch bevor sie hinter den Schleier Elyseas geblickt hatte.

Langsam glitt Kassiopeias Blick über den Fluss vor Tolbas und konnte fast die Kinderstimmen von früher hören, als sie hier am Fluss Piraten und Shugo-Händler gespielt hatten oder als die anderen Kinder staunend neben ihr standen, wenn sie ihnen stolz ihren Rekord beim Steine-Ditschen zeigte.

Ob sie es noch konnte? Kassiopeia nahm nachdenklich einen flachen Stein vom Boden auf. So lange hatte sie es nicht mehr gemacht, vermutlich hatte sie es verlernt. Bis zu zwanzig Mal war es ihr früher gelungen. Sie stellte sich an den Fluss, holte knapp über dem Boden mit Anlauf Schwung und pfefferte den Stein der Wasseroberfläche entgegen:

Ditsch – 1 – Ditsch – 2 – Ditsch – 3 – Ditsch – 4 – 5 – oh, ein Großer! – 6 – 7 – Mist, sie werden kleiner – 8 – 9 – 10 – 11 – Ditsch – 12 – 13 – 14 – das wird nichts mehr – Ditsch – 15 – 16 – Kassiopeia stand wie gebannt am Flussrand – 17 – Ditsch – Doch! Doch! Doch! – 18 – und der Stein plumste ins Wasser.

Kassiopeia verzog das Gesicht schief. Nur achtzehn Mal? Noch nicht einmal neunzehn? Noch nicht einmal knapp? Fast wäre es ihr gelungen. Also gab es doch Sachen, die sie als Daeva weniger gut konnte. Daevas waren eben doch nicht jene perfekten Wesen, für die Kassiopeia sie immer gehalten hatte – und immer noch halten wollte. So sehr klammerte sie sich mit ihrem Herzen daran, dass dieser Traum kein Traum war, sondern Wirklichkeit.

Noch eine ganze Weile starrte sie auf die Stelle an der ihr Stein viel zu früh im Wasser versunken war. Nein, sie wollte es nicht wahr haben…

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