Man kann eine unterschiedliche Meinung zur Rechtschreibreform haben und die will ich auch niemandem nehmen. Ich finde auch nicht alles gut bei der Rechtschreibreform, habe mich aber größtenteils mit ihr arrangiert. Es gibt auch viele Argumente gegen die Rechtschreibreform, die ich nicht wegdiskutieren will, weil sie stimmen. Nur eines dieser „Argumente“ steht auf reichlich wackligen Beinen, wie ich finde: Dass erst durch die Rechtschreibreform die ganzen Probleme entstanden sind und wir deswegen den Niedergang der Schreibkünste von uns allen um uns herum sehen.
Erst einmal gab es bereits vor der Rechtschreibreform genug Leute, die auch die alte nicht beherrschten. Ein Großteil der Leute hat sich damit herausgeredet, dass sie nur wegen der neuen Rechtschreibreform diesen oder jenen Fehler machen. Trotzdem konnten auch diese Leute die alte Rechtschreibung nicht einwandfrei – hätten dort also auch Fehler gemacht.
Hinzu kommt, dass uns jetzt nur dieses ganze Rechtschreibchaos auffällt, weil wir viel mehr nicht lektorierte Texte lesen – im Internet vorrangig. Was haben wir denn vor über 10 Jahren großartig von anderen Menschen gelesen? Ich denke, höchstens Lehrer könnten da einen Vergleich anstellen (oder ähnliche Berufsgruppen, die viel mit Texten zu tun hatten) und das wäre spannend, mal dort nachzufragen. Und wenn ich mich so an diverse Diktate in der Schule zurückerinnere: Auch da wurden mehr als genug Fehler gemacht.
Das Internet zeigt uns einfach viel mehr Texte und dadurch sehen wir viel mehr Fehler. Sicherlich hat auch die Rechtschreibreform ihren Teil dazu beigetragen, aber ich wage zu behaupten, dass es früher gar nicht einmal so anders ausgesehen hat – wir haben es nur einfach nicht mitbekommen. Wenn wir jetzt aber in beispielsweise Foren schauen, zu denen mittlerweile wirklich jeder Zugang hat, sehen wir eine größere Bandbreite an Texten als noch vor zehn Jahren, als nur eine wirklich kleine Gruppe der Bevölkerung im Internet schrieb – damals aber eine eher erlesene Gruppe.
Ich will damit jetzt wirklich nicht sagen, dass die Rechtschreibreform ganz ohne Probleme ist und es gibt Argumente dafür und dagegen. Aber ich wollte nur das Augenmerk darauf lenken, dass wir sicherlich, wenn wir vor 15 Jahren bereits so viele unlektorierte Texte von einer ungefilterten Bevölkerungsgruppe gelesen hätten, wir genauso fehlerhafte Texte gelesen hätten, wie heute. Vielleicht ein klein wenig weniger, aber die Rechtschreibreform ist an deutlich weniger Fehlern schuld.
Du sprichst ein wahres Wort gelassen aus :)
Vor allem kann ich auch aus der Praxis heraus sagen, dass viele Leute auch bei zahlreichen Dingen auf die Rechtschreibreform verweisen, wenn sie Fehler machen, obschon die betreffende Regel vielleicht gar nicht geändert worden ist.
Wer statt einem dass ein das schreibt, der hätte auch kein daß gesetzt, sozusagen.
Rechtschreibfehler passieren. Auch „Profis“. Ich arbeite als Lektor und dennoch findet Scorp bei meinen Rezis auf der DORP stets noch Fehler. Und dass bei uns jede Rezi gegengelesen wird, etwa seine von mir und meine von ihm, ist denke ich schon nicht mal mehr selbstverständlich.
Die wirkliche Kunst, die wahre Fähigkeit, die liegt darin, dass man akzeptieren muss, Fehler zu machen … und dann daraus zu lernen.
Wer das nach neuer Rechtschreibung nicht kann, der hätte es auch nach alter Fassung nicht gekonnt.
Sehr cooler Beitrag!
Viele Grüße,
Thomas
Oh ja, mir passieren auch genug Fehler – wie ich häufig genug hier im Blog merke. Da tippt man mal rasch einen Beitrag, liest ihn nicht mehr Korrektur. Wenn dann nach ein paar Tagen ein Kommentar kommt, liest man sich den eigenen Beitrag noch einmal durch und fragt sich: „Was hast du da denn für einen dämlichen Fehler gemacht?“ – und versinkt vor Scham im Boden.
Ich spreche mich definitiv nicht frei von Fehlern – im Gegenteil. Wobei ich sowieso finde, dass das Internet eine Pest ist, was Rechtschreibung betrifft. Viel zu schnell eignet man sich Fehler an, die man immer wieder und wieder sieht.
Bestes Beispiel: „Seid/Seit“ – ich kenne den Unterschied, ich habe das eigentlich noch nie falsch gemacht. Trotzdem ist es mir schon passiert, dass mir da trotzdem ein Fehler rausgerutscht ist – obwohl ich es weiß! Obwohl ich darauf achte! So peinlich! Und ich verstehe es nicht, denn diesen Fehler mache ich eigentlich nicht! Eigentlich! Aber eben leider doch hin und wieder – aber erst seit wenigen Jahren und zum Glück auch sehr, sehr selten.
Ich habe immer das Gefühl, dass man auch sicherer (oder eben unsicherer) in der Rechtschreibung wird, je nachdem, was man liest. Lese ich viel und lektorierte Romane oder Zeitungen, dann wird es sicherer. Versumpfe ich für längere Zeit mal wieder in Internet-Foren, dann geht es auch bergab. Zumindest kenne ich das von mir, dass ich da sehr „adaptiv“ bin und mein Rechtschreibgefühl, das ich generell als nicht schlecht einstufe, „krank“ wird, je mehr ich im Internet lese. Leider kann man das aber auch in unserer heutigen Zeit kaum unterlassen.
Aber nicht umsonst ist schließlich eine goldene Regel: Über jeden Text sollen mindestens zwei unterschiedliche Augenpaare gehen. Nicht nur wegen der Rechtschreibung. Wobei selbst da ja an vielen Stellen bereits in Verlagen mittlerweile gespart wird. Traurig eigentlich – aber das Ergebnis merkt man an so einigen Stellen leider.
Ich sage das ja auch immer wieder gerne – der Zeitungsmarkt kränkelt ja bekanntlich auch ziemlich, was die Wirtschaftlichkeit angeht. Aber das kann man nicht durch Einsparungen oder Masse aufwiegen – was das betrifft, wird das Internet mit einer Publikations-Zeit von ca. einer Sekunde nach Fertigstellung *immer* gewinnen.
Vielmehr wäre Qualität ein Weg, zumindest die eigene Nische zu erhalten. Aber stattdessen versuchen Verlage, auch die für Bücher, quasi einen Dumping-Kampf zu fahren … was relativ doof ist, wenn man gegen ein kostenloses Medium kämpft.
Und klar, eine gewisse Reflexion durch das, was man liest, ist immer gegeben. Durch das, was man hört, ja durchaus auch – darum werfen die heimischen Bekannten einer Freundin von mir, die von Wien nach Köln gezogen ist, ihr mittlerweile ja auch vor, dass sie mittlerweile „deutscheln“ würde ;)
Allerdings muss man in dem Bereich auch wieder aufpassen, denn der Bereich Internetsprache ist halt noch mal streng zu trennen von dem Bereich Rechtschreibreform, denn diesen Sprachwandel (ich sage mal bewusst nicht „Sprachverfall“, auch wenn ich persönlich kein Fan von Internet-Sprech bin) haben die englischsprachigen Länder ja genauso.
Aber manchmal verstehe ich das halt auch einfach nicht. Das sind dann die Tage, an denen ich gerne mit meinen Duden bewaffnet in irgendein Aachener Geschäft gehen mag, um den mit den Büchern zu bewerfen, der mal wieder was von „attraktivem Desin“ irgendwo geschrieben hat…
Viele Grüße,
Thomas
Also ich weiß nicht ob es tatsächlich nur daran liegt. Wenn ich höre wie unsere Grundschüler heutzutage das Schreiben lernen! Die sollen über 4 Jahre lang alles genau so schreiben wie sie es hören. Da kommt dann mal schnell ein „fiel anstatt viel“ oder eine „fier anstatt vier“ dabei heraus und noch ganz andere gruselige Dinge. Die Eltern dürfen nicht verbessern, ist strengstens verboten sonst wird man in die Schule zitiert.
Aber dann, im 5. Schuljahr sollen alle Kinder auf einmal die Rechtschreibung richtig beherrschen? Wer hat sich eigentlich sowas ausgedacht.
Ist meine ich von Bundesland zu Bundesland geregelt; nun bin ich Literaturwissenschaftler und kein Lehrer, insofern kann ich es nicht mit Bestimmtheit sagen und meine primäre Info-Quelle zu sowas ist gerade offline, aber zumindest bei den Kindern, die jetzt gerade hier in NRW die Grundschule verlassen, war es so, dass das, was du beschreibst für die ersten beiden Klassen, nicht für die gesamte GS galt. Sprich du schreibst Kraut und Rüben und dann, mit der Klasse 3, richtig.
Das macht es nicht besser, ich will dir gar nicht widersprechen in dem Punkt – ich finde es sogar noch schlimmer, denn mit der dritten Klasse kommen auch die Noten, was das Leben des Schülers nicht einfacher macht.
Was ich allerdings ergänzen möchte, ist, dass die Leute, mit denen ich zu arbeiten habe, noch „klassisch“ Deutsch gelernt haben. Die können sich in keiner Weise auf obskure, neumodische Lerntrends (nicht zuletzt teils als panischen Gegenruck zu PISA-Ergebnissen) berufen, können’s aber trotzdem nicht ;)
Zumindest in NRW sollten die entsprechend „ausgebildeten“ Kinder jetzt die weiterführenden Schulen erreichen oder vielleicht letztes Jahr erreicht haben und da wird die Zeit zeigen müssen, ob das langfristig jetzt gut war oder nicht.
Aber für die erwachsenen Leute, die es heute nicht können, ist auch das keine gültige Ausrede ;)
Viele Grüße,
Thomas
*Jahrgang 83, noch ‚old school‘ mit Diktaten unterrichtet worden*
Ich bin ja mit Jahrgang 78 auch nach alter Schule mit Diktat unterrichtet worden. Klingt aber fast so, als ob es das heute nicht mehr gibt? Kann ich mir irgendwie kaum vorstellen. Aber zu Schule und vor allen Dingen Deutsch-Unterricht habe ich mittlerweile natürlich gänzlich den Kontakt verloren.
Wobei ich mich bis heute frage, ob Diktate auch so wirklich das Gelbe vom Ei sind. Das war doch meist eher auswendig lernen – speziell für das Diktat. Ich bezweifle, dass bei mir so viel davon hängen geblieben ist.
Den Großteil meiner Rechtschreibung beziehe ich eigentlich durch das aktive Lesen – daher bin ich da vermutlich auch so anfällig dafür, wenn ich mal wieder nur Unsinn in irgendwelchen MMO-Foren lese.
Das klingt spannend. Von so einer Unterrichts-Art habe ich bisher noch nicht gehört. Das klingt tatsächlich nach ziemlichem Unsinnsunterricht für mich.
Auch wenn das sicherlich für das ein oder andere komische Rechtschreibproblem sorgt, denke ich, dass es sicherlich nicht nur daran liegt. Seit wann gibt es denn solchen Unterricht? Und wirklich flächendeckend in den einzelnen Ländern? Bitte die Fragen nicht falsch verstehen, das ist auch nicht ironisch oder so gemeint. Mir ist das wirklich so noch nicht begegnet.
Wobei das doch dann sicherlich eher die „jüngere“ Generation ist, sofern das überhaupt schon längere Zeit so gemacht wird. Ich kann das nämlich auch eher wie Thomas bestätigen. Aus eigener Erfahrung gruselt es mich manchmal noch bei den freiberuflichen Lektoratsaufträgen, die ich vor ein paar Jahren gemacht habe… da waren Menschen dabei, die über 30 waren und eine fürchterliche Rechtschreibung hatten – und sich dann mit „ja, ja, das ist das Problem mit der neuen Rechtschreibung“ rausgeredet haben. Nur, dass sie eben auch die alte Rechtschreibung falsch gemacht hätten.
Aber das mit dem „schreiben, wie man es hört“ ist echt ziemlicher Unsinn. Das gruselt mich – sehr.
Wie gesagt, ich bin da nicht voll in der Materie drin, aber das kommt wie gesagt, ganz grundsätzlich, als Gegenruck zu Ergebnissen der PISA-Studie, vornehmlich der Lesekompetenz.
Das Ergebnis war halt, dass eben jene ziemlich verkümmert war bei den untersuchten Kindern. Und weil das ja sicher nichts damit zu tun hat, das Kinder heute privat einfach nicht mehr lesen und gerade Lese-Verstehen ja auch nicht gesondert trainiert werden konnte, wurde der Übeltäter bei der Orthographie gesucht und dann als gefunden definiert, denn das konnten die Kinder ja auch nicht.
Und natürlich, klar, wenn ich mich Silbe für Silbe durch das Wort robben muss, dann leidet auch das Leseverständnis. Und es ist auch weitaus schwieriger, einen langen Text zu schreiben, wenn ich über jedes Wort gesondert nachdenken muss. Nur ob die gefundene „Lösung“ ihren Namen verdient hat … ich zumindest zeige mich skeptisch.
Aber da findest du auch für jede Meinung mindestens drei Studien, die diese dann belegen; wie ja leider oft in der Geisteswissenschaft.
Andere Thesen gehen auch davon aus, dass eben gerade in diesen sehr frühen Jahren die Intuition zur richtigen Schreibe erst ausgebildet wird. Oder, dass es verschiedene Lerntypen für Schriftsprache gibt (Nein, sowas auch!) und dass der sog. „visuelle Typ“ sich halt Schriftbilder in Gesamtheit einprägt und kaum noch davon runter kommt, wenn das einmal geschehen ist.
Aber wie gesagt, Philologie, das liegt schon was zurück bei mir; höre nur dieses Semester interdisziplinär eine Vorlesung zur Sprachgeschichte und Sprachwandel … wenn das Thema mehr in die Richtung kippt, bin ich wieder fitter in der Materie ;)
Viele Grüße,
Thomas
Ich finde das immer noch auf eine gewisse Weise spannend und gruselig – irgendwie wirkt es immer noch so unwirklich auf mich, dass es so eine Regelung zur Lehrmethode wirklich geben sollte.
Beispielsweise ich bin der visuelle Typ wohl eher, daher adaptiere ich auch (leider!) gerne mal etwas, das ich zu häufig sehe. Ich kann zwar auch sehr genau lesen, aber ich merke das bei mir schon allein daran, dass ich während meiner Studienzeit in 200 Seiten-Romanen innerhalb von wenigen Momenten Zitate finden konnte, die Andere Minuten lang gesucht haben.
Meine Milchbärte haben sich mit dem Freinachschnautzeschreiben in den ersten beiden Schuljahren recht unterschiedlich geschlagen.
Für einen war es ein Totalausfall, was man daran merkt, dass er in Englisch kaum Typos fabriziert, in Deutsch aber ziemlich willkürlich schreibt.
Nummer Zwei wurde massiv zum Lesen und Schreiben animiert, da er voller ungeduld sich nicht einschränken musste.
Nummer Drei hat die Regellosigkeit von Anfang an verweigert.
:D
Als korrigierende Eltern stört es allerdings massiv, wenn man die Kinder für Mist auch noch loben muss.
Trotz aller Erfahrungen sind wir immer noch der Meinung, mit Fibel, Richtigschreiben und Zensuren ab der ersten Klasse lernt man am Besten. Allerdings könnte es doch sehr helfen, wenn es pro Klasse nur 20 Schüler, die Schulen in Ordnung und genügend Lehrer vorhanden wären.
Aber man reformiert lieber irgendwo als dort, wo es Not tut.
Ich stelle mir das gruselig vor, wenn man das als Eltern mitbekommt. Ich glaube, ich würde da definitiv mal vorstellig werden bei der Schule – aber damit wäre ich wohl nicht der einzige, besorgte Vater.
Ich stimme dir da aber generell zu: Eher sollten die Lehrbedingungen verbessert werden und nicht durch solche möchtegernpädagogischen Lösungen rumpfuschen.