Wenn man denkt, die Online-Welt wäre schlimm mit ihren Flamern und Trollen und Whinern und Profilneurotikern, dem empfehle ich einfach mal wieder, ein wenig Auto zu fahren oder auch anders am Straßenverkehr teilzunehmen. Das ist nämlich etwas, das nicht nur auf die Online-Welt beschränkt ist. Ein perfektes Beispiel habe ich eben erlebt, als ich nach Hause fahren wollte.
Da in Karlsruhe heute Streik war, habe ich mir schon gedacht, dass das mit dem Auto ein wenig zäher wird. Aber weil ich mich seelisch bereits darauf vorbereitet hatte, habe ich es zwar zähneknirschend, aber gelassen hingenommen, einfach ein wenig nette Musik im Stau gehört und das auf mich zukommen lassen. Denn jeder schien heute mit dem Auto unterwegs zu sein.
An einer Ampel standen sie sogar lange – sehr lange. Das Problem war, dass die Straße auch noch sehr lang war, so dass ich den Stau schon sehr früh mitbekommen habe. „Was soll’s!“, dachte ich mir, ordnete mich bereits richtig ein und saß meine Zeit ab. Ich kam an eine Kreuzung, über die ich gerade drüber musste, aber durch den Stau war das auch reichlich zäh. Ich blieb auch kurz vor der roten Ampel stehen, denn die Autos vor mir standen bereits so halb auf der Kreuzung. Da musste ich nicht auch noch mit drauf.
Eigentlich hätte ich heute einen guten Buddha abgegeben bis zu diesem Zeitpunkt. Denn ich ließ die Gedanken schweifen und war wirklich vollkommen entspannt.
Die Ampel wurde wieder grün, ich wusste, dass dann auch die Ampel ganz vorne an der Straße grün würde, auch wenn ich sie nicht sah – denn ich kannte die Strecke immerhin ziemlich auswendig. Da ich das erste Auto an der Ampel war, wäre also sicher ein Platz frei für mich vorne. Die Autos vor mir setzten sich in Bewegung und ich ebenso. Doch es ging dann auf einmal doch nicht weiter. Wie ist das möglich? Sollte ganz vorne wirklich nur ein Auto über die Ampel gelangt sein? Eigentlich ein Ding der Unmöglichkeit, denn die Ampelphase war – das wusste ich – doch verhältnismäßig lang.
Aber gut, da die Autos hinter mir auch schon aufgeschlossen hatten, blieb mir sowieso nichts Anderes übrig: Ich stand auf der Kreuzung und wartete, dass sich vor mir Platz bot. Zurück war auch keine Option mehr, denn der Autofahrer hinter mir hatte sich wohl Ähnliches wie ich gedacht und war jetzt sehr verblüfft.
Ideal war das natürlich nicht! Ich fahre auch normalerweise nicht über die Kreuzung, wenn ich nicht sicher weiß, dass ich es aus Platzgründen ganz rüber schaffe. Doch diesmal hatte ich mich eben geirrt. „Naja, was soll’s!“, dachte ich mir. Natürlich kam dann aber bald die Ampelphase der Autos, deren Weg ich jetzt blockierte. Eigentlich konnten die ja sehen, dass es für mich kein Vor und kein Zurück gab. Aber was machten sie? Hupen! Und wild gestikulieren… ich möchte nicht zu weit aus dem Fenster lehnen, aber ich glaube, ein gezeigter Vogel war ebenso dabei.
Was hätte ich in diesem Moment machen sollen? Ich hob die Arme, deutete dann auf das Auto direkt vor mir und zeigte damit an, dass es eben nicht anders gerade geht. Was war die Reaktion? Hupen! Gestikulieren! Als ob mir das Platz machen würde. Dankeschön für diese Mithilfe.
Unangenehm war mir das ja schon, denn es war wirklich nicht richtig von mir, dass ich jetzt auf der Kreuzung stand, aber eigentlich passiert mir sowas nie und eigentlich hätte da auch wirklich Platz sein müssen. So langsam schob sich dann sogar der Verkehr vor mir an und ich bekam Platz.
Aber wisst ihr, woran das vermutlich lag? Ich stellte weiter vorne fest, dass ungeheuer viele die linke Spur nutzten, die nicht gerade freier, aber zehn Sekunden schneller war, und dann ganz vorne an der nächsten Ampel Blinker setzten, um zu wechseln. Bei Ortsfremden verstehe ich sowas ja noch, denn die kennen vielleicht die Straßenführung nicht. Aber es waren gefühlte 95% Karlsruher, die dieses Spielchen machten und somit erst vermutlich diesen ungeheuren Stau verursachten.
Also wurde mir gehupt, weil ein ganzer Haufen Deppen so egoistisch war, sich an allen anderen Autos vorzumogeln. Die kamen damit durch, bekamen noch nicht einmal gehupt und ich war der Depp auf der Kreuzung, der deren Egoismus ausbaden durfte und auch noch beschimpft wurde. Da bedanke ich mich ganz ehrlich für die Erkenntnis, dass die Offline-Welt um keinen Deut besser ist als die Online-Welt. Es war eigentlich mal wieder an der Zeit, dass mir das so richtig deutlich vor Augen geführt wurde.
Ich kenne das von Dir beschriebene Verhalten anderer Autofahrer nur zu gut. Es scheint ein Phänomen zu sein, das immer wenn der Mensch (Gott sei Dank nicht alle) sich unangreifbar fühlt, zu asozialem Verhalten neigt. In einem Auto sitzend ist man schließlich nicht wirklich angreifbar, genau sowenig wie im Internet, in einer Gruppe gleichgesinnter, die einem einen Schutz verpassen, eben überall dort, wo einen eine schützende Hülle umgibt.
Keiner dieser Autofahrer würde z.B. dieses Verhalten an einer Supermarktschlange, vor der Kinokasse oder dem Bankschalter an den Tag legen, denn dort würden unmittelbare Konsequenzen folgen (unter Umständen sogar schmerzhafte, wenn die „richtige“ Person in der Schlange steht). Eigentlich eine sehr traurige Tatsache das der Mensch, wenn er sich Sicher vor unmittelbaren Konsequenzen fühlt, dazu neigt asoziale Tendenzen an den Tag zu legen. Und unter diesen Gesichtspunkten betrachtet ist es eigentlich kein Wunder das sich solch ein Verhalten auch in MMOs, Foren oder sonstwo im Internet wiederspiegelt, denn die Außenwelt macht es einem ja bereits seit Jahren vor.
lg
Kai
Wobei ich solches Verhalten auch schon im Supermarkt erlebt habe. Klar, manchmal gelangen diese Leute dann an die falschen Personen.
Ich finde es auch traurig, dass es Menschen gibt, die bewusst sowas machen und denen die Anderen egal sind. Mich wurmt so ein Verhalten immer wieder.