Der Fall „der Fall Jane Eyre“

Im Titel stottere ich nicht digital. Aber der Roman Der Fall Jane Eyre (im Original: The Eyre Affair) ist schon ein eigener Fall für mich. Dies ist eines von den Büchern, die ich lieben will, die es mir aber stellenweise sehr schwer machen. Eigentlich hat es alles, was ich mir von einem Roman wünsche: Es ist postmodern, es dreht sich um Literatur, es ist skurril, es ist witzig geschrieben. Wobei ich hier ein Geständnis ablegen muss, denn ich habe es auf Deutsch gelesen. Es ist also nicht unmöglich, dass manche meiner Probleme im Original nicht bestehen. Doch ich bezweifle es, um ehrlich zu sein.

Jane Eyre – Vermutlich war das einer der Romane, die ich im Studium am häufigsten behandelt, aber am wenigsten komplett gelesen habe. Dicht gefolgt von Moby-Dick. Aber ich habe es so häufig stückchenweise gelesen, dass es sich anfühlt, als ob ich ihn komplett kenne. Vermutlich ist es auch so. Ich mag Jane Eyre – sogar sehr! Um so neugieriger wurde ich, als ich hörte, dass es da einen postmodernen Roman gibt über eine Literaturagentin, die in Bücher eintaucht und bei der auch Jane Eyre aus dem Roman gestohlen wird. Wunderbar! Leider nur teilweise.

Eines meiner größten Probleme habe ich mit dem Anfang. Denn der macht alles genau so, wie man es normalerweise nicht machen sollte. Dass Jasper Fforde also mehrfach abgelehnt wurde bei den Verlagen wundert mich nicht. Der Anfang ist träge, er ist ziellos und er hat nur einen Bruchteil des Witzes und des Charmes, den das Buch ab etwa der Hälfte gewinnt. Denn das ist die Tragödie dieses Romans für mich: Eigentlich ist er toll. Doch, ja, „eigentlich“ ist das Problem. Denn ich habe den Roman insgesamt viermal aufgehört, bevor ich ihn mir dann ein paar Monate später wieder vornahm, um kurz danach erneut aufzugeben. Wo liegt das Problem des Anfangs in meinen Augen? Er erklärt zu viel! Ich muss und will das eigentlich alles gar nicht wissen. Der Roman heißt „Der Fall Jane Eyre“ und nicht „Die merkwürdige Parallelwelt mit Literaturagenten und Geheimdiensten“. Denn um Jane Eyre geht es streng genommen erst ganz weit hinten.

Es zerfasert einfach unglaublich. Außerdem ist die ganze Idee mit der Parallelwelt ja ganz witzig und amüsant, aber ich brauche diese detaillierte Erklärung noch nicht einmal! Besonders weil sie so ziemlich alles erklärt, aber meine Hauptfrage trotzdem nicht beantwortet: Warum ist die Welt so von Literatur besessen, macht aus klassischen Autoren fast Rockstars und Literaturwissenschaft zu einer Hipster-Bewegung? Es wird richtig kleinschrittig erklärt, wie der Konzern Goliath die Weltgeschicke lenkt, wie die Geschichte sich anders entwickelt hat und so weiter. Zugegeben, das ist auch nicht unwichtig für die Handlung. Trotzdem für mich vollkommen nebensächlich im Vergleich zu dem Literaturaspekt der Welt. Das Ding heißt Der Fall Jane Eyre! Entschuldigung, das musste ich noch einmal betonen, denn manchmal wirkt es nicht so, als ob sich der Roman dessen bewusst ist. Aber möglicherweise habe ich auch einfach etwas überlesen, übersehen oder missverstanden. Aber mir ist keine Begründung dafür untergekommen, warum Literatur diesen Stellenwert in dieser Welt einnimmt und wenn ich schon erkläre, dann aber doch bitte gerade das!

Das ist vermutlich mein größter Schmerz mit dem Roman. Denn der Rest ist echt richtig gut. Es ist postmodern. Es gibt viele Anspielungen, kleinere Insider-Witze. Die Dialoge sind pfiffig, auch wenn in meinen Augen die Charaktere manchmal etwas schablonenhaft-oberflächlich bleiben. Viel bleibt eher abstrakt bis absurd (außer dieser Anfang mit seinen detaillierten Erklärungen – nein, das will mir einfach nicht passen). Der Bösewicht ist hervorragend und ich liebe den Umgang mit Jane Eyre gegen Ende. Ja, da glänzt der Roman und mein Amerikanisten/Anglisten-Herz schlägt höher. Aber dieser Anfang? Uff, nein. Das war schon ein wenig Folter, sich da durchzuquälen.

Es ist so unglaublich schade, denn diesen Roman wollte ich so lieben und feiern, aber kann es nicht. Denn letzten Endes hat er mich weniger unterhalten, als der in vielen Aspekten ähnliche Skulduggery Pleasant. Hier ist die Welt auch bizarr, die Charaktere teilweise flach und abstrakt, die Dialoge aber irrwitzig und sprudelnd und die Ideen mitreißend, wenn auch vieles nicht so postmodern. Trotzdem ist die Welt dort weitaus glaubwürdiger, obwohl sie ebenso hanebüchen ist. Doch was macht sie glaubwürdiger? Weil sie nicht so detailliert versucht wird, zu erklären. Denn hier kommt eine alte Weisheit aus dem Feng-Shui-Rollenspiel doch wieder ans Tageslicht: „A map is not your friend.“ Je mehr ich dem Leser/Spieler überlasse, je mehr er selbst mit seiner Vorstellungskraft füllen muss, desto lebendiger wird es letzten Endes. Klar, das kann man auch übertreiben und einen gewissen Anhaltspunkt sollte man schon geben. Aber Der Fall Jane Eyre übertreibt die Erklärungen einfach. Weniger ist manchmal eben doch mehr.

Was würde ich so gerne eine Empfehlung für diesen Roman ausgeben, doch kann ich das guten Gewissens leider nur für (wohlwollend) 60% des Buches.

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